Valerij Kuklin

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Der Kater Bajun

 

Märchenstück

 

Aus dem Russischen von Carola Jürchott

 

 

Erste Szene

 

Auf eine Waldwiese kommt ein Hündchen gelaufen. Es ist ein lustiger,а lebhafter Hund, der sofort alle Sträucher und Bäume beschnuppert, die Vögel anbellt, in alle Ecken und Winkel schaut, um danach wieder mit einem Bellen sein Frauchen zu rufen, ein junges Mädchen, das städtisch gekleidet ist, mit einem Rucksack über den Schultern, sportlichen Hosen und Sportschuhen...

 

Mädchen: Schnuffi! Da bist Du ja, du Schlingel! (sieht sich um) Ooh! Hast du aber eine schöne Wiese entdeckt! Sicher wurde sie noch nie von eines Menschen Fuß betreten!

 

Der Hund schmiegt sich an sie, das Mädchen streichelt ihn.

 

Mädchen: Fein! Braves Hündchen. (nimmt den Rucksack von den Schultern) Jetzt machen wir uns ein Feuer, kochen uns ein feines Süppchen, und du bekommst zu fressen. Magst du ein Süppchen? (sie streichelt den Hund)

 

Der Hund springt auf einmal zur Seite und schnuppert.

 

Mädchen: Schnuffi! Was hast du?

Hund: Bleib nicht hier. Geh schnell fort von hier!

Mädchen (freudig): Schnuffi! Du kannst sprechen?

Hund: Hier ist es gefährlich... (stockt plötzlich und fängt jämmerlich an zu heulen)

Mädchen: Schnuffi! Mein Gott, Schnuffi! Nun sag doch noch etwas! Bitte!

 

Der Hund heult erschrocken auf und zieht den Schwanz ein.

 

Mädchen: Schnuffi! Was hast du?

 

 

Zweite Szene

 

Auftritt des Katers Bajun. Er ist jung und gutaussehend. Über seiner Schulter hängt eine Gusli.

 

Kater: Guten Tag, schönes Kind.

 

Der Hund bäumt sich auf, er bellt laut und verzweifelt, will sich auf den Kater stürzen, doch das Mädchen аhält ihn am Halsband fest.

 

Kater: Guter Hund.

Mädchen: Schnuffi, pfui! Aus! (entschuldigend) Gewöhnlich bellt er keine fremden Kater an.

Kater: Ach so ist das? Na dann... (berührt mit einer Kralle die Saiten der Gusli, es ertönt Musik, und der Hund beruhigt sich auf der Stelle) Guter Hund, guter Hund... (streckt dem Hund аeine Pfote entgegen, dieser knurrt unwillig, läßt sich aber streicheln) Schnuffi, Schnuffi...

 

Der Hund аstreckt sich zu den Füßen des Mädchens aus und schläft ein.

 

Mädchen: Das können Sie aber wirklich gut. Ich hatte schon Angst, er würde Sie beißen.

Kater: Das wäre ja noch schöner! Ich werde mich doch nicht vor irgendwelchen Hunden fürchten!

Mädchen: Und wer sind Sie?

Kater: Siehst du das denn nicht? Ein Kater.

Mädchen: Und wie heißen Sie?

Kater: Kater Bajun.

Mädchen: Das ist ja interessant! Meine Großmutter hat mir immer ein Märchen erzählt, in dem der Kater Bajun ganz schrecklich war. Und Sie sind so anders.

Kater: Wie denn?

Mädchen: Schön.

Kater (selbstgefällig): Ach ja?

Mädchen: Aber sicher. Sehen Sie doch selbst Ц diese Eleganz, diese Augen, dieses Fell!

Kater: Und wie ich erst spiele!

Mädchen: Was spielen Sie denn? Fangen?

Kater: Vielleicht werde ich noch wie ein kleines Kätzchen Fangen spielen. Ich, der Kater Bajun (schlägt die Saiten der Gusli an) Minuten! Sekunden! Hierher!

 

Die Musik spielt, die Minuten und Sekunden tanzen.

Das Mädchen singt mit und tanzt dazu.

Im Laufe des Liedes wird das Licht im Saal etwas schwächer, das Mädchen tanzt.

 

 

Dritte Szene

 

Auftritt des Piraten, der mit allen Attributen seines Handwerks ausgestattet ist: einer Pistole, einem Säbel, einem Tuch auf dem Kopf und einer Augenklappe und einem Holzbein

 

Pirat: Bei den dreitausend Teufeln! Der Rum soll mir den Wanst verbrennen, wenn ich nicht rauskriege, wo meine See geblieben ist. Ein Haifisch soll mich verschlingen! Die Ankerkette soll mich in Stücke reißen, aber ich werde das Meer finden und einen Zweimaster oder eine Barkasse entern!

 

Der Hund läuft ihm entgegen. Er sieht besorgt aus und sucht offenbar etwas.

 

Pirat: Aha, da bist du ja! Hab ich dich endlich! (zieht seinen Säbel und fuchtelt damit vor dem Hund herum)

 

Der Hund fletscht die Zähne und knurrt.

 

Pirat:а Stillgestanden! Alle Mann an Deck! Die Anker lichten!

Hund: Rühr mich nicht an! Ich beiß dich!

Pirat: Ach, da will ich doch glatt eine Qualle verschlingen! Er fürchtet sich nicht! (läßt den Säbel sinken) Bist ein prima Kerl, sag ich dir! Du wirst mein Matrose!

Hund: Werd ich nicht!

Pirat: Warum nicht?

Hund: Weil ich mein Frauchen suche.

Pirat: Hast ein Frauchen gesucht und ein Herrchen gefunden Ц mich! Stillgestanden! Präsentiert das Gewehr! Alles hört auf mein Kommando!

Hund: Mach ich nicht!

Pirat: Ruhe im Glied! Stillgestanden! Befehl ausführen!

Hund: Mach ich nicht.

Pirat: Bei den dreitausend Teufeln! Zur Strafe Deck schrubben! Von Backbord nach Steuerbord und umgekehrt! Dreimal! Wegtreten!

 

Der Hund beschnuppert ihn.

 

Hund: Ich wittere mein Frauchen... Wo ist mein Frauchen?

Pirat: Ruhe im Glied! Befehl ausführen! Stillgestanden!

 

Der Hund zerrt ihn am Hosenbein und zieht ihn hinter sich her.

 

Pirat: Au! Laß mich los! Das tut doch weh!

 

Der Hund zieht ihn von der Bühne.

 

 

Vierte Szene

 

Der Kater Bajun spielt immer noch. Zu seinen Füßen steht eine kleine Truhe.

Das Mädchen tanzt. Nur ist es jetzt kein Mädchen mehr, sondern eine Alte Frau in einem verschlissenen Kleid. Beim letzten Akkord fällt die Alte Frau zu Boden. Sie versucht aufzustehen, kann es aber nicht.

 

Alte Frau: Was ist los mit mir?

 

Der Kater verschließt wortlos die Truhe.

 

Alte Frau: Au, das tut weh! Katerchen, hilf mir!

Kater (kühl): Das fehlte noch. Du kommst schon allein auf die Beine.

Alte Frau: Was sagst du da? Ich bin ja so erschöpft! Ich habe noch nie so getanzt, weißt du!

Kater: Wie denn?

Alte Frau: Na, so eben Ц bis zum Umfallen. (streckt ihm die Hand hin) Nun, hilf mir schon.

 

Der Kater wirft sich die Gusli über die Schulter, nimmt die Truhe in die andere Hand und geht.

 

Alte Frau: He, wo willst du hin? (richtet sich langsam auf, der Rücken bleibt gebeugt, sie stöhnt) Die Männer sind doch alle Betrüger! Ach, was ist nur los mit mir? Hier tut mir was weh und da auch. Den Rücken bekomme ich nicht gerade. Ich habe wohl zu viel getanzt! Das reicht fürs ganze Leben. Na, macht nichts. Jetzt rufe ich Schnuffi, wir machen ein Feuer und kochen uns ein Süppchen. He, Schnuffi! Schnuffi!

 

Der Hund kommt angelaufen.

 

Hund: Das ist die Stimme von meinem Frauchen.

Alte Frau: Schnuffi, du kannst ja wieder sprechen!

Hund: Wer bist du?

Alte Frau: Wer ich bin? Ja, Schnuffi, erkennst du mich denn nicht?

Hund: Nein.

 

 

Fünfte Szene

 

Auftritt des Piraten.

 

Pirat: Halt! Stehengeblieben! Auf Befehlsverweigerung steht Gallion putzen! Bei den dreitausend Teufeln!

Alte Frau: Schnuffi, ich binТs doch, dein Frauchen!

 

Sie will auf den Hund zugehen, doch der Hund weicht vor ihr zurück.

 

Hund: Du hast die Stimme von meinem Frauchen, aber wie du aussiehst...Nein, du bist nicht mein Frauchen.

Pirat: Hund, faß! Beiß sie! Wirst du wohl hören! Vorwärts, marsch!

Hund: Laß mich in Ruhe! Das weiß ich selbst!

Pirat: Befehlsverweigerung! Tod durch Erschießen! (zieht seine Pistole) Pfoten hoch!

Alte Frau: Was macht ihr denn? (stürzt vor und stellt sich zwischen den Pistolenlauf und den Hund) Wozu?

Pirat: Eine Verschwörung? Eine Meuterei? Alle Mann an Deck! Hängt die Meuterer!

Alte Frau: Dir wird ichТs zeigen! Von wegen Ц hängen! (nimmt ihm die Pistole weg und wirft sie fort) Machst hier einen Lärm. Das ist schließlich nicht dein Hund, du hast hier nichts zu melden!

Hund (freudig): Mein Frauchen! (beschnuppert sie) Tatsächlich! Das ist mein Frauchen!

Pirat (Zieht seinen Säbel): Ich verurteile dich zum Tod durch Enthaupten!

 

Der Hund bellt und stürzt sich auf ihn, der Pirat fällt vor Schreck um und verliert seinen Säbel.

 

Pirat (schreit): Man schlägt doch keinen, der schon am Boden liegt! Das macht man nicht! Ich ergebe mich!

 

Der Pirat liegt am Boden, der Hund stellt sich mit einer Pfote auf ihn und wendet sich an die Alte Frau.

 

Hund: Was ist mit dir geschehen, Frauchen?

Alte Frau: Wieso, was ist denn?

Hund: Sieh dich doch mal an!

Alte Frau: Ach, da hat er (zeigt auf den Piraten) mich sicher erschreckt.

Hund: So sehr? (knurrt den Piraten an)

Pirat: Mich darf man nicht beleidigen. Ich bin ein Kriegsgefangener.

Hund: Was hast du mit meinem Frauchen gemacht? Los, rede!

Pirat: Ich? Gar nichts hab ich gemacht. Ich sehС sie ja zum ersten Mal.

Alte Frau: Ich sehe ihn auch zum ersten Mal. Was ist denn los?

Hund: Was denn, Frauchen, das weißt du nicht?

 

Der Hund läßt den Piraten los, geht zu der Alten Frau und reicht ihr einen Spiegel. Sie sieht hinein...

 

Alte Frau: O Gott! Wie konnte das nur geschehen? (setzt sich auf die Erde und weint) Ach ich Ärmste, ich Ärmste...

Hund: Warte doch mal. Wir werden schon etwas finden. Irgendwas wird uns schon einfallen...

 

Der Hund dreht sich zum Piraten um: Der versucht auszunutzen, daß sein Bezwinger beschäftigt ist, und so zu entkommen.

 

Hund: Willst du wohl stehenbleiben!

 

Der Pirat hält im Kriechen inne, dreht sich auf den Rücken und reckt Arme und Beine in die Luft.

 

Pirat: Ich ergebe mich!

Hund: Weißt du, was mit meinem Frauchen passiert ist?

Pirat: Was denn?

Hund: Sie ist mit einem Schlag so alt geworden.

Pirat: Ach, das meinst du. Das weiß ich.

Hund: Was weißt du? Nun sag schon!

Pirat: Was gibst du mir?

Hund: Wofür?

Pirat: Dafür, daß ich es dir sage.

Hund: SagТs mir einfach so. Für ein Dankeschön.

Pirat: Einfach so geht das nicht.

Hund: Wieso nicht?

Pirat: Weil ich böse und gemein bin.

Hund: Dann sei doch gut und edel.

Pirat: Ha, weißt du, was der Kater Bajun dann mit mir macht?

Hund: Was denn?

Pirat: Er wird mich augenblicklich zwingen zu tanzen, Lieder zu singen und fröhlich zu sein. Und ehe ich michТs versehe, bin ich ein Greis.

Hund: Aha! Dann hat also der Kater Bajun mein Frauchen verzaubert!

Pirat: Das habe aber nicht ich dir gesagt. Hörst du Ц ich hab nichts gesagt!

Hund: Wo ist der Kater? SagТs mir! Und zwar ein bißchen plötzlich!

 

 

Sechste Szene

 

Auftritt des Katers Bajun

 

Kater: Sucht ihr mich?

Hund (duckt sich, setzt zum Sprung an): Da bist du ja! Hab ich dich endlich!

 

Der Kater greift in die Saiten, der Hund schläft ein.

 

Kater: Was sind diese Hunde doch dumm. (zum Piraten) Steh auf, Verräter.

Pirat: Ich habe nichts verraten. Ich habe wirklich nichts gesagt.

Alte Frau: Natürlich hast du es gesagt. (zum Kater) Also du... du hast mich in eine alte Frau verwandelt. Warum?

Kater: Gesagt oder nicht, wo ist da der Unterschied? (zu der Alten Frau) Und jetzt husch, geh weg von hier. Wir haben zu reden.

Pirat (greift seinen Säbel und fuchtelt vor der Alten Frau damit herum): Hau ab!

Alte Frau: Ach, was ist das doch für ein Unglück! Ach, ich Unglückliche! (geht kopfschüttelnd ab)

Pirat: Mach schon, solche wie dich gibt es viele!

Kater: Und du bist mir vielleicht ein Held!

Pirat: Was soll denn das heißen? Weißt Du eigentlich, wie viele Schiffe ich versenkt habe? Fünfundachtzig!

Kater: Fürwahr, ein Held!

Pirat: Mit Mann und Maus hab ich sie versenkt. Ihre Ladung hab ich gekapert, und alles andere liegt auf dem Meeresgrund. (er lacht)

Kater: Das ist dumm.

Pirat: Warum?

Kater: Weil jeder Mensch Jahre seines Lebens bedeutet. Und jedes Jahr seines Lebens ist ein Schatz. (er streicht mit der Pfote über die Truhe) Hier ist er, der wahre Reichtum. Jahre über Jahre von Menschenleben. Denn wie verbringen denn die Menschen ihre Zeit? Sie fangen etwas an und lassen es dann liegen. Sie sagen, sie bringen es morgen zu Ende. Und diesem ДmorgenУ folgt ein weiteres ДmorgenУ und noch eins und noch eins... Ehe man es sich versieht, ist ein Monat verstrichen, ein weiterer, zwölf Monate, das zweite Jahr, fünf Jahre, zehn Jahre... Und was sie angefangen haben, ist immer noch nicht fertig. Ihre Zeit vergeuden sie für Gelage, Spiele und Vergnügungen. Und die Dummköpfe sehen nicht, daß ich die ganze Zeit über neben ihnen stehe und ihre vertane Zeit bewache. Sie werfen sie weg, und ich stecke sie fein säuberlich in meine Truhe. Und ehe sie es sich versehen, sind sie schon alt und haben keine Kraft mehr zu beenden, was sie einst begonnen haben. Wozu kann ich sie gebrauchen, wenn sie keine Kraft haben? Weg mit ihnen, weg... (wedelt mit der Pfote von sich fort und lacht) Die Sorglosen...

Pirat (stimmt kriecherisch in das Lachen ein): Und damit sie die Zeit ganz vergessen, spielst du ihnen Musik vor.

Kater: Ich unterhalte sie. (streicht über die Truhe) Und verlängere mein eigenes Leben. Was schätzt du, wie alt ich bin?

Pirat: Na ja, vielleicht fünfhundert Jahre.

Kater: Fünfzig Jahrhunderte.

Pirat: Alle Achtung!

Kater: Sorglose Menschen hat es zu allen Zeiten gegeben und wird es immer geben. Für uns beide wird es schon reichen... (er greift in die Truhe, holt ein Bonbon hervor, wirft es dem Piraten hin, der es fängt) Da hast du. Hast es dir verdient.

 

Der Pirat wickelt das Bonbon aus und will es essen...

 

Kater: Sei doch vorsichtig, du Trottel! Da sind zehn Jahre drin. Wenn du es aufißt, was meinst du, was dann aus dir wird? Hast du etwa vergessen, wie du beim letzten Mal fünf Bonbons auf einmal verschlungen hast und ein kleiner Junger geworden bist?

Pirat (erschrocken): Auwei! Du hast ja Recht! Ich verstecke es lieber. (steckt es in die Brusttasche) Vielen Dank, mein Herr. (verneigt sich tief vor dem Kater) Laß mich frei! Ich will das Meer sehen! Ich will Schiffsplanken unter meinen Füßen spüren! Will mir Wind und Sturm um die Nase pfeifen lassen! Ich habe keine Kraft mehr! Ich diene dir seit fünfhundert Jahren. Laß mich frei!

Kater: Lieber Freund! Bis zum nächsten Meer müßtest du von hier aus mindestens drei Jahre reiten und würdest es doch nicht erreichen. Komm, laß uns die Zeit zählen gehen.

 

Der Pirat geht hinter dem Katerа ab.

Der Hund,der nun allein geblieben ist, spitzt vorsichtig ein Ohr, hebt den Kopf und sieht ihnen nach.

 

Hund: Alles klar! Die Zeit von meinem Frauchen ist in dieser Truhe versteckt. (er läuft in die entgegengesetzte Richtung fort.)

 

 

Siebte Szene

 

Stimme (launisch): Warum ist er denn weggelaufen? So haben wir nicht gewettet... Das ist ein Kommen und Gehen, gerade so, als wären sie zu Hause. Dabei sind sie doch im Wald. Im Zauberwald...

 

Die Alte Frau kommt heraus.

 

Alte Frau: He, wer ist denn da?

 

Schweigen.

 

Alte Frau: Ich habe es doch gehört, daß da jemand gesprochen hat.

Stimme (fröhlich): Huhu!

Alte Frau(sieht sich um): Wo bist du?

Stimme: Such mich doch!

 

Die Alte Frau sucht, während die Stimme lachend diese Suche kommentiert. Schließlich wird die Alte Frau müde und setzt sich erschöpft auf die Truhe.

 

Alte Frau: Na gut, ich gebe auf. Nun zeig dich schon!

Stimme (ausgelassen): Du wirst mich sowieso nicht sehen!

Alte Frau: Bist du etwa unsichtbar?

Stimme: Schlimmer. Ich bin nur eine Stimme. Der Drachen hat mich gemacht und dann im Wald ausgesetzt.

Alte Frau: Aha! Dann bist du also ein Echo!

Stimme: Na dann, ruf doch mal was!

Alte Frau: Echo! Huhu!

 

Stille.

 

Stimme: Nun ruf noch mal etwas!

Alte Frau: Huuuu-huuuuu!

 

Stille.

 

Stimme: Und noch mal!

Alte Frau(holt tief Luft, pustet sie dann aber plötzlich wieder aus und sagt vorwurfsvoll): Du willst mich necken, was?

Stimme: Was soll ich denn sonst machen? Ich langweile mich.

Alte Frau: Na... Dann hilf doch den Menschen. Zeig ihnen den Weg aus dem Wald heraus. Wenn sie sich verlaufen, kannst du vor ihnen herlaufen und ДHuhu! Huhu!У rufen.

Stimme (traurig): Das kann ich nicht.

Alte Frau: Warum denn nicht?

Stimme: Ich bin die hiesige Stimme. Ich gehöre zu dieser Wiese hier. Ich habe weder Arme noch Beine. Ich kann nur hören und reden.

Alte Frau: Du Ärmste...

Stimme (erstaunt): Wieso ich Ärmste?

Alte Frau: Weil du nichts fühlen kannst, nichts sehen, nichts kosten. Gott, hast du es schwer.

Stimme: Ich tue dir leid?

Alte Frau: Wenn ich nur wüßte, wie ich dir helfen kann.

Stimme (bewegt): Du Ц mir?

Alte Frau: Natürlich. Menschen sollten einander immer helfen.

Stimme: Aber ich bin doch kein Mensch. Ich bin doch nur eine Stimme. Mehr nicht.

Alte Frau: Aber du leidest. Das spüre ich.

Stimme: Mir kann keiner, keiner helfen.

Alte Frau: Das kommt davon, weil du immer allein bist. Aber jetzt hast du einen Freund.

Stimme: Einen Freund...

Alte Frau: Du erzählst mir deine Geschichte Ц und zusammen werden wir einen Ausweg finden.

Stimme: Einen Ausweg... Zusammen... Mit einem Freund...

 

Die Alte Frau setzt sich bequemer hin, um besser zuhören zu können.

 

Stimme: Das war vor langer Zeit... Damals lebte auf dieser Wiese ein Drache. Er war weder böse noch gut, er hatte seine Bestimmung noch nicht gefunden. Er lebte einfach hier, badete im Mondenschein und war auf seine Art glücklich.

Eines Tages kam eine Jungfrau in den Wald, und der Drache verliebte sich in sie.

Alte Frau: War sie schön?

Stimme: Das hat sie mich auch gefragt, nachdem der Drache mich gemacht hatte.

Alte Frau: Warum?

Stimme: Ich sollte der Jungfrau in seiner Abwesenheit die Zeit vertreiben. Sie haben viel gestritten, und der Jungfrau hat das gefallen. Einmal haben sie sich so gestritten, daß der Drache über dem Wald herumgeflogen ist und alles Lebendige aufgefressen hat. Als er wiederkam, war die Jungfrau tot.

Alte Frau: Und was war danach?

Stimme: Für mich gab es kein Danach mehr...

 

 

Achte Szene

 

Tanz der Zeit: Ein Mann und eine Frau in Ballkleidung tanzen einen Walzer.

Der Katerа und der Pirat treten auf.

 

Kater: Du bist schon wieder hier? Hau schon endlich ab!

Alte Frau: Wieso? Ich störe euch doch nicht.

Kater: Und wie du uns störst! Du verschreckst mir die Kundschaft. (zum Publikum) Ich habe ja so viele Interessenten.

Pirat: Hände auf den Rücken. Ein Schritt nach links oder rechts wird als Fluchtversuch gewertet, Springen auf der Stelle als Flugversuch. Im Gleichschritt! Vorwärts marsch!

Der Pirat und die Alte Frau gehen ab.

 

Kater: Ihr seht ihnen zu? Ihr habt eure Freude daran? Gut. Wunderbar. Ich liebe die Gleichgültigen. Vor ihren Augen werden Menschen gequält, und sie kauen auf ihren Bonbons herum. Der Pirat ist auch so einer. Hat Schiffe versenkt, Menschen ertränkt, und jetzt dient er mir. Weil meine Greueltat schlimmer ist. Gemeinsam verbiegen wir Menschenseelen. Das ist unser Handwerk!

Stimme: Du Schurke!

Kater: Du bist noch hier?

Stimme: Wo soll ich denn sonst sein? Ich lebe hier. Auf dieser Wiese.

Kater: Wie sehr du mir hier auf die Nerven gehst! Soll ich dich vielleicht in die Stadt schicken?

Stimme: Kannst du das denn?

Kater: Klar, kann ich das.

Stimme: Dann schick mich in die Stadt, ja? Ich möchte so gern etwas von der Welt sehen!

Kater: Ich werde es tun, wenn du...

Stimme: Wenn ich was? Verlang, was du willst Ц ich tue alles!

Kater: Wenn du mir sagst, worüber du hier mit der alten Frau geredet hast.

Stimme: Über mich.

Kater: Wieso über dich?

Stimme: Wie sie mir helfen kann.

Kater: Was sind die Menschen doch dumm! Ist selbst vom Unglück verfolgt und überlegt, wie sie dir helfen kann! (zum Publikum) Nehmt euch bloß kein Beispiel an der Alten! Ihr müßt zuerst an euch selber denken und dann erst an die anderen!

 

Der Kater sieht nicht, wie der Hund unbemerkt auftaucht und sich mit der Zeittruhe davonstiehlt.

 

Stimme: He du, Kater!

Kater: Was willst du?

Stimme: Du hattest versprochen, mich in die Stadt zu schicken.

Kater: Ich habТs mir aber anders überlegt.

Stimme: Aber ich habe dir doch gesagt, was du verlangt hast. Jetzt mußt du mir helfen.

Kater: Gar nichts muß ich. (bemerkt den Hund) Stell das sofort wieder hin! Stell es an seinen Platz, sag ich! Pirat! Zu Hilfe!

 

Der Hund läuft weg, der Kater ihm hinterher. Nach ihnen kommt der Pirat auf die Bühne gelaufen.

 

Pirat(brüllt): Alle Mann an Deck! Bei den dreitausend Teufeln! Carramba! (danach ruhig zum Publikum) Was ist denn eigentlich los? Wem soll ich helfen?

Stimme aus dem Saal: Dem Kater.

Pirat: Dem Kater? Dann will ich euch eins sagen: Ich hab ihn gar nicht gehört. Abgemacht? Wenn der Kater um Hilfe ruft, heißt das, er ist schwach. Und wenn er schwach ist, kann ich von ihm weglaufen. StimmtТs? Und dann finde ich meine See.

 

Der Pirat legt einen Finger an die Lippen und geht, vorsichtig auftretend, in die dem Kater entgegengesetzte Richtung.

 

Stimme: Und wieder bin ich allein. Ich bin immer allein. Der Kater hat mich belogen, und die Alte auch.

 

 

Neunte Szene

 

Auftritt des Mädchens

 

Mädchen: Schnuffi! Wo bist du? Schnuffi!

Stimme: Er ist nicht da.

Mädchen: Was soll das heißen: nicht da? Schwindelst du auch nicht?

Stimme: Ich lüge nie. Ich werde immer von den anderen belogen.

Mädchen: Dann sag mir doch, wo Schnuffi ist.

Stimme: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß er dem Kater die Zeittruhe gestohlen hat und weggelaufen ist.

 

Auftritt des Katers mit der Truhe über der Schulter

 

Kater (unwirsch): Wo ist dieser Pirat? Alles muß man alleine machen. Wozu ernähre ich den Nichtsnutz eigentlich? Da dient er mir schon fünfhundert Jahre und hat gerade mal für zwanzig gearbeitet. (bemerkt das Mädchen) Aah, eine Kundin! (nimmt zu einem einschmeichelnden Ton an) Guten Tag, Mädchen! Sei mir gegrüßt, schönes Kind! Möchtest du dich nicht amüsieren und tanzen?

Mädchen: Kater, sag mir wo Schnuffi ist!

Kater: Was für ein Schnuffi?

Mädchen: Mein Freund.

Kater: Ach, das bist ja schon wieder du. Dann hat also der Hund deine Zeit herausgelassen. Dann habe ich ihn also nicht umsonst... (hält sich die Pfote vor den Mund)

Mädchen: Was hast du ihn? (zieht den Kater am Ohr) Los, sag schon!

Kater: Auuu! Laß mich los! Das tut weh!

Mädchen: Wo ist Schnuffi?

Kater: Laß mich los, dann sag ichТs dir.

Mädchen: Lügst du auch nicht?

Kater: Natürlich nicht. Ich bin doch ein ehrlicher Kater.

Stimme: Glaub ihm nicht. Mich hat er auch schon betrogen.

Mädchen: Da siehst duТs! Dir kann man nicht glauben. Sag es mir erst, dann laß ich dich los!

Kater: Ja, ja, sofort! Ich hab ihn ... verzaubert. Und jetzt laß mich los!

Mädchen: Nein, erst mußt du mir noch sagen, in was du ihn verwandelt hast!

Kater: Pirat! Zu Hilfe!

Stimme: Der ist nicht mehr im Wald. Der ist sein Meer suchen gegangen.

Kater: Verräter! Und du, Stimme, bist auch ein Verräter! Auu! Ich habe den Hund in ein Bonbon verwandelt!

Mädchen: In ein Bonbon?

 

Das Mädchen läßt vor Verwunderung das Ohr los, der Kater springt zur Seite.

 

Kater(böse): Jawohl, in ein Bonbon! Und jetzt kann ihn niemand, hörst du, niemand jemals wieder entzaubern!

 

Der Kater lacht, greift die Truhe und läuft davon.

Anstelle der Truhe liegt ein großes Bonbon.

Das Mädchen hebt es auf.

 

Mädchen: Armer Schnuffi! Du warst immer so lustig, so ein hübscher Hund. Ich habe so gern mit dir gespielt. Und jetzt bist du ein gewöhnliches Bonbon.

Stimme: Kein gewöhnliches, ein Zauberbonbon.

Mädchen: Ist das wahr?

Stimme: Ja. Man muß das Bonbon essen, sich etwas wünschen, und der Wunsch geht in Erfüllung.

Mädchen: Aber ich will doch Schnuffi nicht essen!

Stimme: Dann laß mich mir was wünschen!

Mädchen: Gut. Aber vergiß Schnuffi dabei nicht!

 

Das Mädchen bemerkt den Kater nicht, der hinter einem Baum hervorschaut.

 

Stimme: Los gehtТs...

Mädchen: Nun sag schon! Mach schneller!

Stimme: Ja, gleich... Ich bin so aufgeregt...

 

Der Kater schleicht sich von hinten an das Mädchen heran.

 

Stimme: Gleich... ich möchte... nein, doch nicht.... also, ich wünsche mir...

 

Der Kater greift über die Schulter des Mädchensа und schnappt sich das Bonbon.

 

Mädchen: O weh, das Bonbon!

Stimme(beeilt sich): ... daß ich einen Körper bekomme und der Hund wieder frei ist!

 

Im Wirbel des Tanzes kommen die Minuten und Sekunden und das Paar, das die Zeit getanzt hat, heraus. Sie bewegen sich streng um das Mädchen und den Kater, und als die Musik abbricht, sieht man, daß neben dem Mädchen der Hund steht, die Zähne fletscht und den bezwungenen Kater mit der Vorderpfote festhält. Das Mädchen hält in der Hand ein Bonbon.

 

Kater: Man schlägt doch keinen, der schon am Boden liegt! Ich bin ein Kriegsgefangener!

Hund: Das hat er vom Piraten gelernt! (läßt den Kater los.) Dank dir, Frauchen, daß du mich befreit hast.

Mädchen: Die Stimme hat mir geholfen. He, Stimme, wo bist du?

Stimme: Ich bin hier.

Mädchen: Wo denn?

Stimme: In dem Bonbon.

Mädchen: Wieso denn in dem Bonbon? Hast du das so gewollt?

 

Alle beugen sich zu dem Bonbon hinunter und bemerken nicht, wie der Katerа zur Seite kriecht.

 

 

Stimme: Nein, ich hab es wohl etwas übereilt.

Mädchen: Dann wünsch dir doch noch einmal was.

Stimme: Das geht nicht. Man kann sich nur einmal was wünschen.

Hund: Dann wünsch ich mir eben etwas.

Stimme: Gut, machen wir es so.

 

Das Mädchen gibt dem Hund das Bonbon.

 

Hund: Was möchtest du sein?

Stimme: Laß mich nachdenken.

Mädchen: Nachgedacht hast du doch schon. Jetzt entscheide dich.

Stimme: Ja, ja, gleich... Das ist eine schwerwiegende Entscheidung, was ich sein möchte. Früher habe ich geglaubt, es reicht, einen Körper zu haben. Aber jetzt denke ich, daß man nicht nur Arme und Beine braucht, sondern auch eine Seele, ein gutes Herz, einen Charakter... Deshalb möchte ich...

 

Der Kater springt auf den Hund аzu, greift sich das Bonbon und läuft mit ihm davon.

 

Stimme (entfernt sich): ... ein Mensch sein!

 

Alle stürzen dem Kater hinterher.

Auf der Bühne erscheint der Pirat.

 

Pirat: Schon wieder diese Wiese. Ich laufe durch diesen Wald und gehe ständig im Kreis. Und dabei muß ich den Weg zum Meer finden. Jetzt ist es schon Nacht... Der Große Wagen ist zu sehen, der Kleine Wagen... Und da ist ja auch der Polarstern... Das heißt, dort ist Norden, da muß ich hin... (zum Publikum) Und ihr kommt das nächste Mal wieder hierher und schaut Euch das Märchen vom Zauberbonbon an. Ihr wollt doch wissen, wie es weitergeht, oder? Also dann: Auf Wiedersehen!

 

Die Mitwirkenden kommen auf die Bühne und sagen im Chor:

Vielen Dank und bis bald!

 

й für die Übersetzung: Carola Jürchott

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