Valerij Kuklin

Íà ñòð. «Ïüåñû»

 

 

Der Monddrachen

 

Märchenstück

 

Aus dem Russischen von Carola Jürchott

 

 

Handelnde Personen:

 

1.      Gorynytsch, der Monddrachen

2.      Jungfrau

3.      Stimme

 

Eine Vollmondnacht. Der Himmel ist sternenklar.

Inmitten eines Waldes aus sehr kämpferisch wirkenden Rosenstöcken steht ein Zelt.

Im Schein des Vollmondes badet der Drachen Gorynytsch (im folgenden kurz “Drachen” genannt).

Sein Körper schimmert in allen Farben des Regenbogens. Aus dem Zelt sieht die Jungfrau dem Drachen zu.

 

Drachen (ruft): Jungfer! (keine Antwort) Jungfer! (keine Antwort) Mädchen! Wo bist du denn? Ich rufe und rufe...

 

Aus dem Zelt kommt die Jungfrau gelaufen. Es ist ein recht korpulentes Mädchen mit einem hübschen Sarafan und dem typischen russischen Kopfschmuck. Ihr langer, dicker Zopf ist über die Schulter nach vorn gelegt. Sie gähnt und streckt sich.

 

Jungfrau (geziert, ohne in seine Richtung zu sehen): Was machst du für einen Lärm? Ist etwas passiert? ... (sie zählt die Rosenstöcke) Es sind doch noch alle da... Was brüllst du hier also herum?

Drachen: Komm her, wir baden ein bißchen.

Jungfrau (es schüttelt sie an den Schultern): Iiiii-gitt... (sie weidet sich an ihrem eigenen Anblick und streicht sich mit sinnlichen Bewegungen über den Körper) Bin ich vielleicht ein Frosch?

Drachen (zärtlich): Dummerchen! Wenn du wüßtest, was das für eine Wonne ist!

Jungfrau (mißmutig): Ja, für ihn ist es eine Wonne... Mich hat er allein im Bett gelassen, und selber... Willst du etwa Dichter werden?

 

Der Mond wird von einer Wolke verdeckt, und die Hautfarbe des Drachen ändert sich: Nachdem er vorher buntschillernd und leuchtend war, ist er nun fahl, fast grau.

 

Jungfrau: Was ist los mit dir? Nun nimm schon wieder die andere Farbe an.

Drachen: Das kann ich nicht.

Jungfrau: Was soll das heißen, du kannst nicht? Gerade eben konntest du es doch. Also nimm schon wieder die andere Farbe an, sag ich. Du siehst aus wie eine kahle Ratte.

Drachen (streng): Fräulein! (seine Haut glüht buntschillernd vor Erregung)

Jungfrau: Nicht “Fräulein”, sondern “holde Schöne”!

Drachen: Mach mich nicht wütend!

Jungfrau: Was machst du sonst mit mir? Willst du mich vielleicht fressen?

Drachen: Fräulein! (seine Haut leuchtet grell) Du kennst mich. Wehe, wenn ich wütend werde!

Jungfrau: Ich weiß. Ich hab’s gesehen... (streicht über einen Rosenstock) Der Ärmste. Du hättest ihn lieber gleich fressen sollen.

 

Der Körper des Drachen leuchtet so bunt und gleichmäßig, wie er im Mondlicht geschimmert hatte.

 

Drachen: Ich fresse keine Menschen.

Jungfrau: Erzähl mir doch nichts. Jeder weiß, daß du es tust.

Drachen: Tu ich nicht!

Jungfrau: Natürlich, du wirst dich wohl vom Mondschein ernähren.

Drachen: Eben, vom Mondschein.

 

Pause.

 

Jungfrau: Was? Wirklich?

Drachen: Ja, vom Mondschein. Du willst mir doch nicht sagen, daß du ein Jahr bei mir gelebt und es nicht bemerkt hast? (sieht sehnsuchtsvoll auf die Wolke) Wann verzieht sie sich wohl endlich?

Jungfrau: Wer?

Drachen: Die Wolke... (Sein Körper wird langsam wieder fahl.)

Jungfrau: Das ist doch zum Verrücktwerden!

Drachen: Probier‘s doch einfach mal. Hast du eine Ahnung, wie gut das tut?! Wir Gorynytschs sind Kinder des Mondes. Und die einzige Nahrung, die wir zu uns nehmen, ist das Licht unseres Urahnen. (Sein Körper hört auf zu schillern, und er wird wieder blaß.)

Jungfrau: Dummkopf!

Drachen (erbost): Was fällt dir ein? (sein Körper erglüht) Du wagst, es so mit mir zu reden? Na warte, ich werde dich...

Jungfrau: Was wirst du? Mich fressen? (lacht) Mondfresser!

Drachen: Rede nicht so darüber. Das darfst du nicht. Der Mond ist unser Urahn.

Jungfrau (fröhlich): Mondfresser!... Mondfresser!

 

Der Drachen brüllt auf vor Zorn und leuchtet ungewöhnlich grell. Er tobt in besinnungslosem Zorn über die Bühne und fliegt davon. Aufheulend erhebt er sich gen Himmel.

 

Jungfrau (ruft ihm hinterher): Mondfresser!... Mondfresser!... (bleibt allein zurück) So was Kleinliches! Und nun ist er weg! Da hat er mich nun aufgeweckt und hat nicht einmal gesagt, warum. Und jetzt kann ich nicht wieder einschlafen... (sieht sich um) Und niemand ist da, mit dem ich reden könnte... (geht zu einem zweiten Rosenstock) Das war ein Mann! Wenn der mich in den Arm genommen hat – bei dem Gedanken geht es mir durch und durch, und das Herz wird mir schwer! Und geliebt hat er mich! Hat sich gleich als erster gemeldet, um mich von dem Drachen zu befreien! Das Dummerchen... Euren Zweikampf hab ich gesehen. Der Drache mußte nicht einmal kämpfen. Er hat nur einmal gegähnt, und du... (verzieht angewidert das Gesicht) ... bist aufgeblüht. Den anderen erging es keinen Deut besser. Sie haben nicht einmal geschafft, ihre Schwerter zu ziehe, da waren sie schon in Rosen verwandelt. Nun könnt ihr dastehen und vor Euch hin duften. Kein Wort könnt ihr sagen, keine Frau liebkosen, und wenn sie noch so einsam ist!!!

(fängt an zu singen: “Sah ein Knab ein Röslein stehn, Röslein auf der Heiden...”)

Die Stimme beginnt mitzusingen.

 

Jungfrau: He! Wer ist da?

Stimme: Ich bin’s.

Jungfrau Wo bist du?

Stimme: Na, hier.

Jungfrau: Wo denn? Ich seh‘ dich nicht.

Stimme: Du kannst mich auch gar nicht sehen.

Jungfrau: Warum nicht?

Stimme: Darum, weil du reden wolltest und nicht gucken – so bin ich also so geworden: du kannst mich zwar hören, aber nicht sehen.

Jungfrau: Wann wollte ich das?

Stimme: Na, eben gerade. Du hast doch gesagt, daß du niemandem zum Reden hast.

Jungfrau: Na, und? Was sagt mich nicht alles, wenn der Tag lang ist? Zeig dich lieber!

Stimme: Das kann ich nicht.

Jungfrau: Wieso?

Stimme: Weil ihr mich so gemacht habt.

Jungfrau: Wer?

Stimme: Du und der Monddrachen. Als er weggeflogen ist, hat er einen Zauberspruch gesagt, weil er dich liebt: Alles, was du dir wünschst, soll sofort in Erfüllung gehen. Du wolltest jemandem zum Reden, und nun bin ich da.

Jungfrau: Der Drachen macht mir vielleicht Spaß! Da hat er mir ja einen Gefallen getan! Hätte mich ja wenigstens vorwarnen können! (hebt die Faust drohend zum Himmel) Na warte, dir wird ich’s zeigen!

 

In diesem Moment gibt die Wolke den Blick auf den Himmel frei. Man sieht den Drachen, wie er in allen Farben des Regenbogens schillert und um den Mond herum fliegt.

 

Jungfrau: Sieh mal! Er leuchtet ja wirklich ganz und gar vom Mondschein.

Stimme: Was meinst du?

Jungfrau: Na, sieh doch selbst! Er fliegt um den Mond herum und leuchtet bunt wie Weihnachtsbaumschmuck.

Stimme: Aber ich kann doch nicht sehen. Ich kann nur hören und sprechen.

Jungfrau: Du bist blind?

Stimme: Nein, nicht richtig. Ich bin das, was du und der Drachen geschaffen habt, damit du jemandem zum Reden hast.

Jungfrau: Soll das heißen, du kannst mich nicht sehen?

Stimme: Natürlich nicht.

Jungfrau: Und du weißt nicht, ob ich schön oder häßlich bin?

Stimme: Ich weiß, daß du in den Spiegel sehen kannst, um das herauszufinden. Und wenn du mir sagst, wie du aussiehst, werde ich mir dich so vorstellen.

Jungfrau: Und wenn ich dich anlüge?

Stimme: Ich werde dir glauben – egal, ob du die Wahrheit sagst oder nicht.

Jungfrau: warum sollte ich mich dann mit dir unterhalten?

Stimme: Ich bin das, was du gemacht hast, nicht mehr. Wenn du dich unterhalten willst, rede ich, und wenn du schweigen willst, schweige ich auch.

Jungfrau: Und ich will eben nicht. Ich habe keine Lust, mich zu unterhalten.

 

Sie geht, leise singend, um die Rosenstöcke herum, riecht an ihnen, küßt ihre Blätter. Man merkt, daß sie sich langweilst und daß sie sich bei ihrem eigenen Schweigen nicht wohlfühlt.

 

Jungfrau: He, hörst du mich?

Stimme: Natürlich höre ich dich.

Jungfrau: Jetzt will ich reden.

Stimme: Dann red doch.

Jungfrau: Worüber?

Stimme: Worüber du willst.

Jungfrau: Ich will ... ich will ... (geht nachdenklich zwischen den Rosenstöcken hin und her) Weißt du, über alles, das ist zu viel. Laß uns reden... Ich weiß nicht, worüber. Laß du dir doch was einfallen.

Stimme: Ich kann nicht nachdenken. Ich kann nur hören und reden.

Jungfrau: Dann sag mir: Liebt er mich?

Stimme: Wer denn?

Jungfrau: Na, der Drachen.

Stimme: Was denkst du denn?

Jungfrau: Ich weiß nicht.

Stimme: Das sagst du doch bloß so.

Jungfrau: Natürlich. Ich belüge ihn und treibe ihn mit meinen Launen zum Wahnsinn. Und er ist dann auf mich wütend und verwandelt mich doch nicht in einen Rosenstock. Und er schillert in den hellsten Farben und... oh!

Stimme: Was ist?

Jungfrau: Ich glaube, ich fange an zu begreifen.

Stimme: Was denn?

Jungfrau: Er ist buntschillernd beim Licht des Mondes. Und genauso schillert er, wenn er wütend ist.

Stimme: Das heißt...

Jungfrau (freudig): Ja! Genau! Das ist es! Das heißt, er ernährt sich von seiner eigenen Wut genauso wie vom Mondschein. Das ist ja toll! (hüpft vor Begeisterung)

Stimme: Was ist denn daran toll?

Jungfrau: Versteh doch... Du siehst ihn doch nicht, aber ich sehe ihn. Wenn er ruhig und zufrieden ist, ist er so unansehnlich... Wie eine graue Eidechse eben. Aber wenn er wütend ist, wird er so bunt, so schön! Wie ein Brillantcollier!

Stimme: Ja, und?

Jungfrau: Dann ist er im richtigen Zorn einfach phantastisch!

 

Aus dem Wald kommt der Drachen. Sein Gang ist müde, er leuchtet nicht.

 

Drachen: Wer ist phantastisch?

Jungfrau: Er.

Drachen: Wer?

Jungfrau: Der andere.

Drachen: Welcher andere? (sein Körper blitzt auf)

Jungfrau: Der, der hier war, als du fort warst.

Drachen: Hier? Wer? Wo ist er? (sein Körper leuchtet)

Jungfrau: Jetzt ist er weg. Aber er hat gesagt, daß er wiederkommt. Wenn du nicht da bist.

Drachen (zärtlich): Willst du mich zum Narren halten? (er schillert, so stark es nur geht)

Jungfrau: Nein. Ich habe mich nur gut mit ihm verstanden. Sehr gut sogar.

Drachen: Gut also, ja?

Jungfrau: Ja.

Drachen (voller Kummer und Verzweiflung): Gut.

Jungfrau: Ja! Ja! Ja!

 

Der Drachen brüllt und fliegt mit einem Heulen gen Himmel.

 

Jungfrau: Da bin ich wohl zu weit gegangen.

Stimme: Hast du keine Angst?

Jungfrau: Vor ihm? (lacht) Der ist doch in mich verliebt! Verstehst du? Der Dummkopf liebt mich. (fängt ausgelassen an zu tanzen und zu singen: “Dat du min Leevsten büst...”)

Stimme: Alles hat seine Grenzen.

Die Jungfrau lacht.

 

Das Heulen kommt wieder näher. Ein Schlag. Aus dem Wald kommt der Drachen. Er trägt einen riesigen Latz, sein Körper leuchtet hell. Er setzt sich, ohne die Jungfrau zu beachten, auf der Vorbühne hin, nimmt den Latz ab, legt ihn ordentlich zusammen und steckt ihn in die Tasche.

 

Drachen: So, der kommt nicht mehr.

Jungfrau: Wer?

Drachen: Der, mit dem du dich so gut verstanden hast.

Jungfrau: Was ist mit ihm?

Drachen: Ich habe ihn gefressen.

Jungfrau: Was soll das heißen – gefressen? Wen hast du gefressen?

Drachen: Alle! Alle hier im Wald. Und um den Wald herum. Zwanzig Meilen im Umkreis.

Jungfrau: Menschen?

Drachen: Ja. Und geschmeckt hat das!

Jungfrau: Ne-ein! (fällt um)

Drachen (dreht sich zu ihr um): Was hast du? Dich werde ich doch nicht fressen. Ich liebe dich doch. Nun steh doch auf! (nimmt ihre Hand, riecht daran und läßt sie sinken; die Hand fällt schwer zu Boden)

Stimme: Ist sie tot?

Drachen: Zu schade. Totes Fleisch schmeckt nicht. Lebendes Fleisch schmeckt. (setzt sich neben die Jungfrau, streicht sich über den Bauch, schnurrt zufrieden und leuchtet)

Stimme: Bist du jetzt schön?

Drachen: Was meinst du?

Stimme: Leuchtest du jetzt in allen Farben des Regenbogens?

Drachen: Keine Ahnung. Ich bin farbenblind.

Stimme: Sie hat gesagt,...

Drachen (unterbricht sie): Nein, das Beste, was sie tun konnte, war aufzuhören zu reden... (rülpst satt und fängt an, fürchterlich falsch zu singen):

 

Es schneit ja keine Rosen und regnet keinen Wein,

so kehrst du auch nicht wieder,

so kehrst du auch nicht wieder,

Herzallerliebste mein!

 

(unterbricht plötzlich das Lied, sieht die Zuschauer gierig an, holt seinen Latz heraus und bindet ihn sich um) Lebendes Fleisch schmeckt!

 

(stürzt sich, in allen Farben leuchtend, in den Saal)

 

 

 

 

© für die Übersetzung: Carola Jürchott

Íà ñòð. «Ïüåñû»

 

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